Bei welchen „Störungen“ ist eine Psychotherapie hilfreich?

Von den Krankenkassen werden Behandlungen der folgenden „Störungen mit Krankheitswert“ übernommen:


Depressionen und manische Störungen (die auch gemeinsam als „bipolare Störung“ auftreten können)

Hierunter fallen alle Störungen, bei denen vorrangig die Stimmung entweder besonders niedergeschlagen (Depressionen) oder besonders gehoben (Manien) ist. Dies geht meist einher mit Veränderungen des Antriebs, des Interesses und der Lebhaftigkeit der Person. Auch der Selbstwert, die Konzentrationsfähigkeit, die Entscheidungsfreude sowie Schlaf und Appetit sind häufig betroffen. Personen mit Depression haben zudem häufig lebensmüde Gedanken und ein erhöhtes Suizidrisiko.
Bei Personen, die unter einem Burn-Out (bei dem es sich per Definition der WHO nicht um eine Krankheit oder psychische Störung, sondern um ein „Problem mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ handelt) leiden, lässt sich in den meisten Fällen eine Depression diagnostizieren.


Angststörungen

Hierunter fallen alle spezifischen Phobien wie Ängste vor Höhe, engen Räumen, bestimmten Tieren, dem Anblick von Blut etc..
Auch soziale Phobien, also Ängste, die in sozialen Situationen wie dem Reden vor anderen Leuten, dem Essen in Gemeinschaft oder auf Partys auftreten, gehören dazu.
Bei der Agoraphobie handelt es sich um die Angst, sich unter andere Menschen oder in Situationen zu begeben, aus denen man nicht ohne weiteres „entkommen“ kann. Die Angst kann so weit gehen, dass die Betroffenen das Haus nicht mehr verlassen. Panikattacken sind Ängste, die aus heiterem Himmel aufzutreten scheinen und sich bis zur Todesangst ausweiten können, ohne dass eine reale Gefahr vorliegt.
Bei der generalisierten Angststörung sind die Betroffenen gedanklich ununterbrochen damit beschäftigt, was alles Problematisches in ihrem Leben passieren könnte. Sie sind ständig angespannt, können kaum abschalten und grübeln selbst über „Kleinigkeiten“ oft lange nach.


Zwänge

Personen, die unter Zwangshandlungen leiden, sehen sich gezwungen, bestimmte Handlungen oder Rituale, wie z.B. Händewaschen oder das Kontrollieren von Türen und Fenstern ständig zu wiederholen. Auch der Drang, alles in eine bestimmte Ordnung bringen oder zählen zu müssen, gehört in diese Kategorie. Dabei haben die Personen auf Verstandesebene selbst zumindest eine Ahnung davon, dass es sich um übertriebenes Verhalten handelt.
Zwangsgedanken sind Ideen oder Vorstellungen, die den Betroffenen einfach nicht aus dem Kopf gehen wollen, sich ständig wiederholen und dabei als quälend erlebt werden. Beispiele sind die ständige Befürchtung, anderen Menschen zu schaden, sich zu versündigen oder auch den Verstand zu verlieren, wenn man bestimmte Dinge denkt.


posttraumatische Belastungsstörungen

Personen, die extremen Belastungssituationen ausgesetzt waren, erleben diese in der Folge manchmal in Alpträumen oder äußerst lebhaften Erinnerungen wieder und wieder. Hinzu kommen oft eine unzusammenhängende Erinnerung an das Geschehene, Schreckhaftigkeit, Reizbarkeit, Schlafstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten. Auslöser sind dabei traumatische Situationen, in denen sich die Person vollkommen ausgeliefert fühlte und sich selbst aufgab, wie z.B. schwere Gewalttaten, Unfälle, Vergewaltigungen, Naturkatastrophen, Krieg etc..


Anpassungsstörungen (nach einschneidenden Lebensveränderungen)

Bei drastischen Lebensveränderungen kann es dazu kommen, dass es einer Person nur schwer gelingt, sich mit der neuen Lebenssituation zu arrangieren. Folgen können ein sozialer Rückzug, depressive, ängstliche oder aggressive Reaktionen sein. Auslösende Situationen gibt es unzählige. Recht typisch sind z.B. der Tod eines nahestehenden Menschen, Scheidung, Arbeitsplatzverlust oder die Diagnose einer schweren körperlichen Erkrankung. In manchen Fällen können aber auch allgemein als positiv angesehene Lebensereignisse, wie z.B. eine Heirat oder der Eintritt in die Altersrente ein Auslöser sein.


Konversionsstörungen und dissoziative Störungen

Hierbei handelt es sich um eine Vielzahl verschiedener Störungen, bei denen Betroffene Symptome aufweisen, die somatischen Erkrankungen ähneln, welche aber definitiv ausgeschlossen werden können. Beispiele sind epileptische Anfälle, ohne dass eine Epilepsie vorliegt, Gedächtnisverluste ohne organische Ursache oder unfreiwillige Trancezustände. Auch Taubheits- oder Lähmungsgefühle trotz intakter nervlicher Versorgung im betroffenen Körperteil fallen in diese Kategorie.


Somatoforme Störungen (Hypochondrie, Krankheitsängste und Schmerzstörungen)

Zu den somatoformen Störungen zählen unter anderem die hypochondrischen Ängste. Bei diesen beschäftigen sich die Betroffenen unablässig damit, dass sie von einer bestimmten Erkrankung betroffen sein könnten. Meist suchten die Personen bereits verschiedenen Ärzte auf, wobei die ärztlichen Versicherungen, dass sie nicht an der befürchteten Krankheit leiden, nur kurzfristig beruhigen konnten.
Bei der Somatisierungsstörung dagegen beschäftigen sich die Betroffenen mit stetig wechselnden körperlichen Symptomen, die sie verunsichern und Angst auslösen. Meist haben die Betroffenen bereits ein längere „Patientenkarriere“ hinter sich, bei der sie von Arzt zu Arzt pendelten, ohne dass sich ihre Symptome wirklich lindern ließen.
Anhaltender und durch eine körperliche Erkrankung nicht (hinreichend) erklärbarer Schmerz ist das Hauptkennzeichen der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung, welche ebenfalls in diesen Bereich gehört.


Essstörungen (wie Bulimie oder Magersucht)

Das stetige Beschäftigtsein mit dem eigenen Gewicht ist das Hauptmerkmal dieses Störungsbereiches. Während Personen mit einer Anorexie sich auf teils lebensbedrohliche Körpergewichte hinunter hungern, kommt es bei Personen, die an Bulimie leiden, wiederholt zu Heißhunger- und Essanfällen, denen selbst herbeigeführtes Erbrechen oder andere, das drohende Übergewicht verhindernde Maßnahmen folgen. Bleiben nach Heißhunger- und Essanfällen solche „korrigierenden“ Maßnahmen aus, spricht man von einer Binge-Eating-Störung.


nicht organische Schlafstörungen

Hierunter fallen alle Störungen des Schlafes, für die es keine organische Ursache gibt: ein zu kurzer oder nicht ausreichend erquickender Schlaf, ein übermäßiges Schlafbedürfnis oder Schlafattacken, Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus', Schlafwandeln oder sich wiederholende Alpträume.
Meist sind Schlafprobleme, wenn sie nicht organisch verursacht sind, jedoch eher Symptom einer anderen psychischen Störung.


nicht organische sexuelle Funktionsstörungen  und andere sexuelle Störungen

Die Störungen in diesem Bereich sind, wie kaum in einem anderen, dem subjektiven Empfinden der Betroffenen unterworfen. Was für den einen Menschen eine befriedigende Sexualität oder ein tolerierbares Problem darstellt, erzeugt dem nächsten subjektives Leid.
Typische Störungen im Bereich der „nicht organischen sexuellen Funktionsstörungen“ sind der „Mangel oder Verlust von sexuellem Verlangen“ (keine Lust oder kein Interesse an Sexualität im Allgemeinen), die „sexuelle Aversion oder mangelnde sexuelle Befriedigung“ (eine Abneigung gegen Sex oder fehlendes Lustempfinden während sexuellen Aktivitäten), das „Versagen genitaler Reaktionen“ (Erektionsstörungen bei Männern, Trockenheit der Vagina bei Frauen), „Orgasmusstörungen“ bei denen es nur sehr verzögert oder gar nicht zum Orgasmus kommt, oder das Gegenteil, „Ejacualtio praecox“, ein zu früher Samenerguss. Ebenfalls in diesen Bereich fällt die „nicht organische Dyspareunie“, bei der es zu Schmerzen beim Geschlechtsverkehr kommt. Auch ein übermäßig „gesteigertes sexuelles Verlangen“ (Satyrismus oder Nymphomanie) kann Grund für eine Psychotherapie sein.
Noch wichtiger wird die Frage nach dem persönlichen Leid im Bereich der „Störungen der Geschlechtsidentität“, worunter Transsexualismus (die Betroffenen haben den Wunsch, als Angehörige des anderen Geschlechts zu leben und anerkannt zu werden) und Transvestitismus (Vorliebe für Kleidung, die kulturell dem anderen Geschlecht zugeschrieben wird) fallen. Entsteht bei den Betroffenen kein Leid, so gibt es hier keinen Grund für eine Psychotherapie.
Im Bereich der „Störungen der Sexualpräferenz“ gilt ebenfalls, dass eine Psychotherapie nur dann angezeigt ist, wenn aus der Störung Leid entsteht. Hier muss man jedoch zusätzlich das Leid, welches anderen Personen aus der Störung der Sexualpräferenz des Betroffenen erwachsen kann, in Betrachtung ziehen. Dies gilt im Besonderen bei der Pädophilie (der sexuellen Vorliebe für Kinder), dem Exhibitionismus (dem Drang, seine Geschlechtsteile in der Öffentlichkeit zu entblößen), dem Voyeurismus (dem Drang, andere ohne deren Wissen in intimen Situationen zu beobachten) und dem Sadomasochismus (Neigung zu sexuellen Aktivitäten, die das Zufügen von Schmerzen und/oder die Erniedrigung eines der Sexualpartner beinhalten). Wenn anderen Personen aufgrund der Neigungen des Betroffenen Leid entsteht, ist von einer behandlungsbedürftigen Störung auszugehen, egal, ob der Betroffene selbst darunter leidet oder nicht.
Der Fetischismus, bei dem der Betroffene sexuelle Erregung aus bestimmten, meist unbelebten Objekten (wie z.B. Schuhen oder Latexkleidung) zieht, fällt ebenfalls in diesen Bereich. Fetischismus gilt ebenfalls erst dann als behandlungsbedürftig, wenn dem Betroffenen oder anderen dadurch Leid entsteht.


Persönlichkeitsstörungen

Bei Persönlichkeitsstörungen handelt es sich um tief verwurzelte und unflexible Verhaltensmuster, die im Besonderen im Kontakt zu anderen Personen zu Problemen führen. Bei den Betroffenen kommt es zu einer deutlichen Abweichung im Denken und Fühlen, in der Wahrnehmung und der Impulskontrolle. Der Beginn von Persönlichkeitsstörungen liegt in der Phase der späten Kindheit bis hin zum jungen Erwachsenenalter und sie können bis ins hohe Alter andauern. Die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung sollte nur vergeben werden, wenn entweder ein deutliches persönliches Leid resultiert (was auch indirekt dadurch verursacht sein kann, dass es zu stetig sich wiederholenden Problemen mit anderen Menschen kommt) oder es ihretwegen zu wiederholten Konflikten mit Ethik und Gesetz kommt.
Die bekannteste, weil eindrücklichste Persönlichkeitsstörung ist wohl die „emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline Typ“, bei der es immer wieder zu impulsiven Handlungen und Gefühlsausbrüchen kommt, sich ein häufiger Wechsel in den sozialen Beziehungen findet und die bei vielen Betroffenen auch mit selbstverletzendem Verhalten einhergeht.
Neben dieser Persönlichkeitsstörung gibt es jedoch noch eine Vielzahl anderer, die hier alle aufzuführen den Rahmen jedoch sprengen würde.


Störungen der Impulskontrolle

Hierunter fallen unter anderem Störungen wie Spielsucht (Automatenspiel, Sportwetten & Casinos) und andere immaterielle Süchte wie z.B. ein unkontrolliertes und übermäßiges Nutzen des Internets oder von Onlinespielen, wie sie in letzter Zeit immer wieder durch die Medien geistern. Auch Störungen wie pathologische Brandstiftung (Pyromanie), pathologisches Stehlen (Kleptomanie) und der Zwang, sich selbst Haare auszureißen (Trichotillomanie) gehören in diese Kategorie.
Eine weitere Gruppe von Störungen, bei denen die Impulskontrolle gestört ist, ist die Gruppe der hyperkinetischen Störungen (z.B. ADHS). Ging man bis vor einigen Jahren noch davon aus, dass diese Störungen nur auf Kindheit und Jugend beschränkt seien, so weiß man heute, dass sie bei einem großen Teil der Personen, die in ihrer Kindheit darunter litten, auch im Erwachsenenalter weiter bestehen.


Süchte

Substanzgebundene Süchte wie z.B. Alkoholismus, Medikamentenabhängigkeit oder chronischer Cannabiskonsum dürfen nur dann ambulant psychotherapeutisch behandelt werden, wenn eine Abstinenz zumindest absehbar ist. Andernfalls ist Voraussetzung für eine ambulante Psychotherapie ein vorausgehender stationärer Entzug in einer darauf spezialisierten Klinik. Im Anschluss an einen stationären Entzug ist eine ambulante Psychotherapie zur Aufrechterhaltung der Abstinenz auf jeden Fall ratsam.


Schizophrenie und wahnhafte Störungen

Bei Schizophrenie handelt es sich um eine Gruppe psychischer Störungen, bei denen das Denken, die Wahrnehmung und die Gefühle der Betroffenen grundlegend gestört sind. Oft kommt es zu Halluzinationen oder Wahnideen, die von den Betroffenen jedoch als absolut real erlebt werden. Auch die Gefühle der Betroffenen sind verändert und häufig seltsam flach, inadäquat oder aber auch hoch erregt. In anderen Fällen kommt es zu einem völligen Zusammenbruch der gedanklichen Zusammenhänge und einer zerfahrenen, mit Fantasieworten durchsetzten Sprache.
Bei der paranoiden Schizophrenie stehen bei den Betroffenen Halluzinationen, im Besonderen das Hören von Stimmen sowie wahnhafte Überzeugung im Vordergrund.
Bei der hebephrenen Schizophrenie dagegen, welche meist nur bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen auftritt, steht die Veränderung der Gefühle im Vordergrund. Diese verflachen oder werden inadäquat. Das Verhalten und Denken wird ziellos und unzusammenhängend.
Die katatone Schizophrenie ist gekennzeichnet von Phasen der Übererregung, die mit stuporösen Phasen abwechseln, in denen die Betroffenen in zum Teil bizarren Körperhaltungen verharren und nicht ansprechbar sind.
Der Kern wahnhafter Störungen dagegen ist die feste Überzeugung der Betroffenen von etwas, das nachweislich nicht der Realität entspricht oder nicht bewiesen werden kann (und nicht allgemein kulturell anerkannt ist). Abseits dieser wahnhaften Überzeugung weisen die Betroffenen keine weiteren psychotischen Symptome auf. Typische wahnhafte Störungen sind Eifersuchts-, Liebes-, Größen-, hypochondrischer - oder Verfolgungswahn.
Bei Störungen, die in diesen Bereich fallen, ist eine ambulante Psychotherapie erst nach Abklingen der Akutphase sinnvoll.
Eine kurze Anmerkung noch zu diesem Störungsbereich: Häufig werden schizophrene Störungen gerade in Film und Fernsehen noch immer so dargestellt, dass es sich dabei um Störungen handelt, bei denen die Betroffenen in ihrer „Persönlichkeit gespalten“ sind und mehrere, voneinander unabhängige Persönlichkeiten besitzen. Bei einer solchen Störung, die zudem sehr selten ist, handelt es sich jedoch nicht um eine Schizophrenie, sondern sie würde dem Bereich der dissoziativen Störungen zugeordnet.



Dies ist nur eine grobe Zusammenfassung der psychischen Störungen, für die die Krankenkassen oder die Beihilfe eine Behandlung übernehmen. Störungen, die nur Kindheit und Jugend betreffen, habe ich außen vor gelassen, da ich für eine Behandlung dieser über keine Zulassung verfüge. Ebenso habe ich keine Störungen aufgeführt, die eher einer neuropsychologischen Behandlung bedürfen, wie z.B. Demenzen.

Über die genannten Störungen hinaus gibt es jedoch noch ein Vielzahl von weiteren Anliegen und Problemen, bei denen eine Psychotherapie helfen kann, deren Behandlung jedoch nicht von den Krankenkassen oder der Beihilfe übernommen werden.

Hierzu zählen z.B. partnerschaftliche Differenzen oder familiäre Probleme, persönliche Krisen, die nicht das Ausmaß einer psychischen Störung erreichen, ein Interesse daran, sich selbst besser zu verstehen und kennen zu lernen oder neue charakterliche oder kommunikative Fertigkeiten zu erlangen. In diesem Fall würde man nicht von einer Psychotherapie, sondern von einer Beratung sprechen.

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